V.S. Naipaul

12.08.2024

Nach deutschen Klassikern wie Hesse und Kafka wollte ich wieder ins tiefe Afrika, und da kam mir der Roman, an der Biegung des grossen Flusses von V.S. Naipaul gerade recht. Anders als Kapitän Marlow in Joseph Conrads Roman erzählt Naipaul die Geschichte der Inder an der Ostküste Afrikas, die nach Generationen keine Inder mehr sind, so wie ihre Nachbarn, die Araber, keine Araber mehr sind, sondern beide ehemals fremde Völker zu Afrikanern geworden sind wie die Einheimischen. Die Geschichte erzählt von asiatischen Händlern an der Küste, von asiatischen Geldverleihern und von dem jungen Kaufmann Salim, der mit seinem Peugeot von der Ostküste bis in die Mitte des Kontinents fuhr. Er durchquerte viele neu gegründete Staaten und brauchte mehr als eine Woche für die Strecke. Die gleiche Strecke, die früher die arabischen Sklavenjäger mit ihren Gefangenen bis zur Küste brauchten. Der gleiche Weg, andere Gefühle, andere Ziele.

Sir Vidiadhar Surajprasad Naipaul wurde am 17. August 1932 in Trinidad und Tobago geboren und starb am 11. August 2018 in London, wo er seit 1950 lebte. Er erhielt 2001 den Nobelpreis für Literatur. Naipaul arbeitete als freier Mitarbeiter für die BBC. Neben seinen Romanen war er für seine Reportagen über verschiedene Regionen und Kulturen der Welt bekannt. Seine zahlreichen Reisen führten ihn unter anderem nach Indien, Zaire, Uganda, Iran, Pakistan, Malaysia und Indonesien. Damit kann Naipaul zu Recht zu den Reiseschriftstellern seiner Zeit gezählt werden. Seine Reiseberichte gingen weit über das übliche Romanschreiben hinaus.

Der erzählte Zeitraum umfasst etwas mehr als zehn Jahre, von Anfang der sechziger bis Mitte der siebziger Jahre. Salim, Sohn einer alteingesessenen indischen Kaufmannsfamilie an der Ostküste Afrikas, denkt schon früh darüber nach, dass die mit den Anrainerstaaten des Indischen Ozeans verbundenen Händler nur unter europäischer Flagge sicher leben können. Mit der Entkolonialisierung Afrikas und einem neuen Nationalismus entwickelt er Zukunftsängste. Um sich aus der exponierten Stellung seiner Familie auf deren Anwesen an der Küste zu befreien, kauft er dennoch von Nazruddin, einem Freund der Familie, einen Lebensmittelladen in einer Stadt mitten auf dem schwarzen Kontinent. Auf sich allein gestellt, lässt er sich neue Waren dorthin liefern und baut den kleinen, zerstörten Laden in der Stadt an der Biegung des grossen Flusses wieder auf. Obwohl er mehrere, meist nicht-afrikanische Bekannte findet, bleibt Salim letztlich ein Einzelgänger, der seiner Umgebung misstraut.

Ali, später Metty genannt, ein Sklavensohn aus seiner Familie, folgte ihm und wurde sein Assistent und damit eine wichtige Figur in der Geschichte. Auch Ferdinand, Sohn der schwarzen Händlerin Zabeth, einer seiner ersten Kundinnen, die mit Frauen aus ihrem Dorf die bei Salim gekauften Waren per Einbaum im Busch weiterverkauft. Zabeth bittet Salim, ein Auge auf ihren Sohn zu haben, der in der Stadt erst das Gymnasium und dann das Polytechnikum auf dem Gut besucht, um dort zum Beamten des neuen Machthabers ausgebildet zu werden. Trotz ihres unterschiedlichen sozialen Status stehen die beiden Jugendlichen für die Hoffnungslosigkeit der neuen Generation.

Als in der Stadt erneut Unruhen ausbrechen, reist Salim für einige Wochen nach London. Dort verlobt er sich mit einer der Töchter von Nazruddin, dem Freund der Familie, von dem er den Laden gekauft hat. Salim fliegt zurück in die afrikanische Stadt, um sein Geschäft zu verkaufen, aber die Machthaber haben inzwischen eine weitere nationalistische Radikalisierung der einheimischen Bevölkerung gegen Ausländer eingeleitet. Salims kleiner Laden wird verstaatlicht und er verhaftet. Ferdinand, Sohn der Händlerin Zabeth, ist inzwischen zum Regierungskommissar aufgestiegen. Er befreit seinen ehemaligen Beschützer und verhilft ihm zur sofortigen Flucht. Mittellos flieht Salim mit dem letzten Flussdampfer aus der Stadt an der Biegung des grossen Flusses.