Kirchtürme in den Alpujarras
Weiss gekalkte Dörfer kleben an den Südhängen der Sierra Nevada im Süden Spaniens. Dazwischen Grün, die vergangenen drei Wochen hat es nur geregnet. Wasser plätschert durch die Dörfer, durch die Felder und Hänge Richtung Mittelmeer.
Die weissen Häuser mit ihren flachen Dächern und eigenartigen Kaminen werden vom Kirchturm überragt. Betrachtet der Reisende die Türme, wird ihm bald klar, dass die christlichen Gotteshäuser mit ihren Glockentürmen einst Minarette von einfachen Moscheen waren. Es gibt sehr einfache Bauten ohne Ornamente wie in Pampaneira. Reich mit Kacheln verzierte Kuppeln wie in Portugos. Gemeinsam haben sie alle, wo einst der Muezzin fünfmal täglich zum Gebet rief, schlagen heute alle 15 Minuten die Glocken und verkünden zu jeder vollen Stunde die gültige Tageszeit.
Die Struktur der einzelnen Dörfer gleichen sich. Zweistöckige Häuser mit weissen Fassaden, kleine Fenster geschmückt mit Blumentöpfen, Balkone und Terrassen, die über der Strasse hängen und den Passanten Schatten spenden, die sogenannten Tinaos. Steile, labyrinthische Gassen mit Arkaden, Vorhöfen und in die Höhe ragende Reben. Hinter dem Haus ein geschützter Innenhof mit Obstbäumen, Gemüse- und Kräutergarten. Es riecht nach Jasmin, Orangenblüten und Minze. Frisches kühles Wasser plätschert in den Brunnen. Eine Katze wärmt sich in der Sonne und von Weitem kläfft ein einsamer Hund. Sonst herrscht stille, friedliche Stille. Die Dörfer sehen aus wie ausgestorben, doch hinter den Fassaden leben Menschen und gehen ihrer täglichen Arbeit nach. An Wochenenden und Feiertagen füllen sich die Gassen mit Touristen aus dem In- und Ausland. Plötzlich herrscht leben, wo immer ein wenig Platz vorhanden stehen Tische und Stühle, Restaurants und Bars öffnen ihre Türen und verwöhnen die Besucher mit einheimischer Kost und ländlichem Wein. Es herrscht Hochbetrieb, Kinder weinen, junge Menschen lachen, ältere Besucher diskutieren. Erst am Sonntag nach 19 Uhr wird es wieder ruhiger, die Besucher sind gegangen, die Terrassen aufgeräumt, die Küchen und Restaurants geputzt, die Rollläden runter gelassen. In einem Eck sitzen noch ein paar Einheimische beim vorletzten Glas, ruhen sich aus von der Arbeit und geniessen die Ruhe ihres Dorfes bis zum kommenden Wochenende.
In
den frühen Tagen der arabischen Invasion stellten die Alpujarras
einen Kern des christlichen Widerstands dar. Doch erst mit der
muslimischen Herrschaft von Al-Andalus erlangten die Alpujarras ihre
wahre Entwicklung und die Errungenschaften in Landwirtschaft und
Handwerk sind bis heute sichtbar. Die Dörfer sind umgeben von
terrassenförmigen Gärten. Diese werden wiederum durch ein
ausgeklügeltes Bewässerungssystem mit dem nötigen Wasser versorgt.
Die Dörfer sind so gebaut, dass sie gegen Aussen eine Einheit zur
Verteidigung bilden. Die engen, verwinkelten Gassen lassen den
Besucher sich darin verlieren, geben aber im Sommer reichlich
Schatten und die Wände reflektieren im Winter das wenige Sonnenlicht
in die Gassen und wärmen auf.
Im 16. Jahrhundert durch die
Invasion der Katholischen Könige wurden die Alpujarras zum Kern des
islamischen Widerstands. Die Geschichte wiederholt sich! Im
Jahr 1567 erliess König Felipe II. ein Edikt, das die Mauren zur
Christianisierung zwang, was ein Jahr später zu einem Aufstand in
den Alpujarras führte. Der Adlige Fernando de Córdoba wurde
Anführer der Mauren, nahm den Namen Aben Humeya an und krönte sich
zum König in den Alpujarras und somit zum letzten islamischen König
auf der Iberischen Halbinsel.
Die Mauren wurden endgültig aus
Granada vertrieben. Wer nicht nach Nordafrika fliehen konnte, wurde
auf die Städte Kastiliens verteilt, wo sie unter harten Bedingungen
arbeiten mussten. Damit begann für Las Alpujarras eine Zeit des
Niedergangs, obwohl das Gebiet mit Menschen aus Nordspanien besiedelt
wurde.
Geblieben sind bis heute die Nostalgie, die engen Gassen und weissen Häuser und in jedem Dorf wacht bis heute das Minarett, Entschuldigung, Kirchturm, über die Bewohner.