Hände
Meine
Kinder meinen, ich altere im Gesicht. Ich hätte mehr Falten als
früher und zu viel Haut unter den Schläfen und am Hals, so wie ein
Huhn. Seit
wie vielen Jahren sehe ich mich jeden Morgen im Spiegel und bemerke
die täglichen Veränderungen somit nicht. Auch das müde Gesicht am
Abend ist seit Jahren das gleiche geblieben, wenigstens für mich.
Was mich aber sehen lässt, dass ich keine 40 oder sogar 20 Jahre
mehr bin, sind meine Hände. Ich sehe sie so, wie ich die Hände
meiner älteren Schwester gesehen habe. Mit Leberflecken, Runzeln und
Falten, aber immer noch geschmeidig und flink. Nicht wie die Hände
meiner Mutter, die von Gicht verunstaltet waren, gekrümmt, nicht
mehr richtig fassen konnten, weder Handarbeiten erledigen, die sie so
liebte wie das Stricken und das Lesen.
Nein, es scheint, dass ich
die Krankheit meiner Mutter nicht geerbt habe. Ich fühle mich
kerngesund, wie mein Vater, der auch nie so richtig krank war und das
Spital wohl nur bei Geburt und nach einem leichten Unfall von innen
erleben musste. Ich fühle mich gesund, ich bin gesund. Ich fühle
mich sicher nicht mehr jung, aber sicher auch noch nicht so alt. Wenn
da nur die Falten meiner Hände nicht wären.
Meine Hände haben nie harte Arbeit geleistet. Mit den Händen richtig zupacken war Vergnügen. Hilfe bei Gartenarbeiten, etwas gestalten, konstruieren. Meine Arbeit war immer Kopfarbeit, wie der Volksmund es nennt. Dabei geht die Kopfarbeit auch nicht ohne Hände. Sie tippen, sie rechnen, sie korrigieren, kratzen an meiner Glatze, blättern in den Büchern, unterstreichen, heben hervor, zeichnen. Zünden die Zigarette an, öffnen den Rotwein und schenken ein. Fehlen mir Worte, lasse ich meine Hände sprechen. Führen Nahrung zu meinem Mund, waschen mich und helfen fast bei jeder wenn noch so kleinen täglichen Arbeit kräftig mit. Was wäre mein Leben ohne meine Hände?
Sie spüren, ballen sich zur Faust. Könnten schlagen, was sie sich nicht gewohnt sind. Sie sind lieber zärtlich zu mir, zu dir, zu uns. Zwei komplexe Gebilde aus Muskeln, Sehnen, Knochen und Bändern. Zahlreiche Muskeln und Sehnen, 27 Knochen, drei Nerven und tausende Fühlkörperchen bilden das filigrane Gefüge, das Biomechaniker als den kompliziertesten Körperteil des Menschen betrachten. Wie oft ich meine Hände und meine Finger gebrauche und bewege, wird erst schmerzlich bewusst, wenn dies plötzlich nicht mehr klappt. Sei es durch eine leichte Verletzung nur schon an der Haut, nicht vorzustellen von einem Bruch eines der Knochen oder eines Sehnenrisses.
Ich
vernachlässige die Pflege meiner Hände häufig. Ihre Haut
ist
dünn, enthält wenig Talgdrüsen und wird leicht trocken. Sie bedarf
deswegen besonderer Pflege mit Cremes und Lotionen. Dazu pflege ich
regelmässig meine Nägel, so kann ich mich hoffentlich noch lange an
meinen eifrigen Händen freuen.
Ob die Persönlichkeit,
Berufszugehörigkeit, Lebensumstände oder sogar die Zukunft aus den
Händen kann vieles abgelesen werden. Über den Gesundheitszustand
geben die Hände häufig Hinweise, wie es um einem steht.
Hände sind der Schlüssel zu unserem ich. Sie begrüssen und lehnen ab. Sie können Gutes tun, aber auch Leid bewirken. Sie bauen etwas auf, können es aber in wenigen Sekunden wieder zerstören. Sie können zart sein, wissen aber auch zuzupacken. Sie streicheln sanft, trommeln ungeduldig. Sie helfen tragen und halten. Sie geben mir in schwierigen Situationen Halt, schützen mich vor Gefahren. An der Art, wo sich die Hände verstecken, ob hinter dem Rücken, vor dem Bauch oder locker neben dem Körper, verraten sie viel über mich und meine aktuelle Lebenslage. Hände sind verantwortlich für soziale Symbolik bis hin zum Eid oder Meineid. Hände gehören in der modernen Kommunikation zu den meist genutzten Emoji. Gesten unterstreichen meine Worte. Ich bin stolz auf meine Hände!