Glasperlenspiel

14.07.2024

Der Bergsee empfing Josef Knecht mit eisiger Kälte und schneidender Feindseligkeit. Er war nicht vorbereitet auf diese grimmige Kälte, die ihn ringsum wie mit lodernden Flammen umfing und nach einem Augenblick des Aufloderns rasch in ihn einzudringen begann. Knecht fühlte sich bitter bedrängt von dem Eisigen, Wilden, Feindseligen, als er schon mit dem Tode rang, der ihn gestellt und zum Ringen umarmt hatte. Er wehrte sich mit aller Kraft, solange sein Herz noch schlug.

Nach fast 500 Seiten voller Gedanken, Lesepausen und Selbstbefragungen endet die Geschichte des Magisters abrupt. Kastalien wollte ihn nicht in die andere Welt ziehen lassen, die Anderswelt wusste nichts mit ihm anzufangen, ausser ihn in einem Bergsee zu begraben. So war seine letzte Reise eine schöne und aufregende, von Kastalien in die Hauptstadt und von dort durch das Vorgebirge ins Hochgebirge. Zugleich führte sie aus dem zu Ende gehenden Sommer immer mehr in den Herbst hinein, in den Tod, den Josef Knecht zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnte, aber innerlich spürte.

Sobald ein Mensch, sei es in seiner Jugend oder erst im Alter, an den Punkt gelangt, an dem er beginnt, nach Sinn und Existenz zu fragen, gilt als Antwort Lesen. So viele Informationen wie möglich aufnehmen und eine eigene geistige Enzyklopädie aufbauen. Lesen hilft, die Grundlagen des Denkens zu stärken. Ein wichtiger Teil der Lektüre sind sicherlich die Schriften von Hermann Hesse, darunter auch das Glasperlenspiel. Im Internet habe ich sowohl positive als auch negative Meinungen über das Buch gelesen. Es sei teilweise langweilig, man wisse nie, worum es in dem Spiel geht, aber ich glaube, das Spiel ist eigentlich nur zweitrangig. Wichtiger ist das, was Josef Knecht an sich geschaffen hat, und seine Gedanken und Taten sind ein Grundstein für eigene Überlegungen.

Der Leser begegnet der Perfektion der Welt in Kastalien und gleichzeitig ihrer Lüge der Utopie. Es war mir ein Vergnügen zu lesen, Randnotizen zu machen, das Buch zur Seite zu legen und nachzudenken. Wie in anderen Büchern Hesses trage ich auch hier die Hauptfigur in mir.
Jeder trägt in sich einen Demian, einen Steppenwolf, einen Narziss, einen Goldmund, einen Siddhartha, einen Morgenlandfahrer und einen Magister Ludi.

Im Sommer 1986, unter der heissen Sonne Granadas, las ich das Buch zum ersten Mal. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich damals empfand und wie Josef Knecht endete. Es war ein grosses Vergnügen, das Buch mit 63 Jahren unter der Sonne Andalusiens wieder zu lesen.

Im Mittelpunkt des Buches steht das titelgebende Glasperlenspiel, das für die geistige Synthese und harmonische Verbindung verschiedener Wissensgebiete wie Musik, Mathematik und Kulturgeschichte steht. Hätte Hesse einfach das Schachspiel genommen, wäre die Identifikation mit dem Spiel allzu leicht gewesen. Als Glasperlenspiel bleibt dem Leser die Freiheit, sich selbst Gedanken über das Spiel und seine vielfältigen Möglichkeiten zu machen, denn das Glasperlenspiel ist als das Leben eines jeden Menschen zu verstehen, das sich ebenfalls aus verschiedenen Bereichen zusammensetzt.

Glasperlenspiel
Glasperlenspiel