Belgrad
Für die heutige Hauptstadt Serbiens haben wir uns genügend Zeit genommen und nach der langen und kühlen Zugfahrt gestern von Nis war das auch gut so, denn mich hat eine Erkältung erwischt. Trotz der Widrigkeiten einer beginnenden Grippe fuhren wir mit dem Bus ins Zentrum, aber nach einer warmen Mittagssuppe war es für mich das Beste, zurück in die Unterkunft zu fahren, mich ins warme Bett zu legen und die aufkommende Grippe mit Wärme und Schlaf zu vertreiben. So konnte ich die Grippe vertreiben und mir blieb eine triefende Nase für die nächsten Tage.
Auf der gestrigen nächtlichen Taxifahrt zur Unterkunft fiel uns vor allem die wunderschön beleuchtete Kathedrale des Heiligen Sava auf, die wir heute besichtigen wollten. Mit dem öffentlichen Bus fuhren wir ins Zentrum zum Park Cirila i Metodija, um erst einmal einen Cappuccino zu trinken. Das Wetter war unfreundlich und nass. Wir schlenderten durch die Gassen hinter dem Park immer in Richtung Dom und kamen so zufällig zu unserem ersten Markt. Hier wurde vor allem frisches Gemüse und Obst angeboten. Interessanterweise wurden nur Produkte aus einheimische Ernte verkauft, keine exotischen Früchte und kein Gemüse, das nicht gerade Saison hatte. Daneben verschiedene Haushaltsartikel, Kleidung und einige Antiquitäten. Frisches Birnenbrot und Käse rundeten das Angebot ab.
Wir erreichten den Dom auf der Rückseite und gingen zum Haupteingang. Die Kathedrale des Heiligen Sava ist eine monumentale serbisch-orthodoxe Kirche im neobyzantinischen Stil. Mit einer bebauten Fläche von 4830 m² ist sie eines der grössten orthodoxen Gotteshäuser der Welt. Mit einem inneren Kuppeldurchmesser von 30,5 Meter steht die Kathedrale in direktem architektonischem Zusammenhang mit der Hagia Sofia in Istanbul. Mit dem Bau der Kathedrale wurde bereits 1935 begonnen. Durch den Zweiten Weltkrieg, die Gründung der Kommunistischen Republik Jugoslawien und weitere politische und wirtschaftliche Störungen konnte der Bau erst 1985 mit Unterbruch während des Bürgerkrieges fortgesetzt werden. Die Aussenarbeiten an der Kirche wurden 2004 abgeschlossen. Die Kosten für die Ausschmückung mit Szenen aus dem Neuen Testament übernahm der russische Präsident Wladimir Putin, wobei Gazprom die Kosten zunächst übernahm. Zum 800-jährigen Jubiläum der Autokephalie der serbisch-orthodoxen Kirche im Jahr 2019, war ein Grossteil der Innenausstattung fertiggestellt. Doch noch heute wird an der Kirche gearbeitet. Die Grösse des Gebetsraumes ist beeindruckend, aber mir gefallen die kleinen, dunklen orthodoxen Kirchen viel besser als diese Prunkbauten, in denen sich die verschiedenen Herrscher verewigt fühlen.
Der zweite Tag verspricht Sonnenschein und so entscheiden wir uns für einen Besuch der Festung, die in einem grünen Park auf einem steilen Felssporn liegt und einen herrlichen Blick auf die Donau und die Mündung der Save bietet. Die gesamte Anlage, mit Ausnahme des Kriegsmuseums und des Dino-Parks, kann kostenlos besichtigt werden. Vor den alten Festungsmauern stehen verschiedene Panzer, Flugabwehrraketen und andere Militärfahrzeuge, wo sich die Einheimischen gerne fotografieren lassen. Die Belgrader Festung bildet den historischen Kern der serbischen Hauptstadt und stammt in ihrer Grundstruktur aus dem frühen 15. Jahrhundert, wurde aber vor allem Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet. Die zentral gelegene Festung war während der militärischen Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in Ostmitteleuropa zwischen den Habsburgern und dem Osmanischen Reich in den Türkenkriegen heftig umkämpft und wurde kurzzeitig von Österreich gehalten. Im Ersten Serbischen Aufstand gegen die Osmanen eroberten die Serben 1807 die Festung, die jedoch bis 1867 unter osmanischem Kommando stand.
Von der Festung aus folgen wir den Einheimischen zurück ins Stadtzentrum zur belebten Fussgängerzone Knez Mihailova. Sie ist gesäumt von vielen Prachtbauten aus verschiedenen Epochen, in deren Erdgeschossen sich internationale Modehäuser und zahlreiche Bars und Restaurants befinden. Wir lassen uns durch die Strassen, Gassen und über schöne Plätze treiben. Die Hausdurchgänge, in denen sich früher kleine Läden befanden, sind leer, ebenso die Geschäfte in den Fussgängerunterführungen. Ein Stück Kultur und Wirtschaft für Kleinunternehmer ist verloren gegangen zugunsten eines Traums nach Europa, eines Traums BW, Beograd Waterfront, wo Mann und Frau sich treffen, um zu sehen und gesehen zu werden. Die modernen Cafés im europäischen Stil mit Blick auf den Fluss Sava sind voll. Die Geschäfte sind voll mit Luxus und das Einkaufszentrum mit europäischen Bekleidungsgeschäften ist voll mit Käufern, die sich unsere Preise zu leisten scheinen können. Wir sind nicht in Belgrad, wir sind irgendwo in Europa, alles sieht gleich aus, ob in London, Paris oder Serbien. Erst im Bus zurück zur Unterkunft werden wir wieder geerdet und die Menschen wieder menschlich. Mit einem Mann unterhalte ich mich auf Englisch über das hier Geschriebene und auch er kann mir nur zustimmen. Wann platzt die Wirtschaftsblase, wie lange können einige wenige noch vom Traum Europa und Amerika profitieren, wobei wie in jedem Traum nur das Positive geträumt wird. Es scheint, dass nur die Save wie seit Jahrtausenden in Richtung Donau fliesst, Treibholz auf dem Wasser mit sich führt, das trüb und stinkend ist. Über die Stahlbrücke rumpelt die grün lackierte Strassenbahn, die vor Jahrzehnten in Basel schon bessere Zeiten gesehen hat. Aber das Tram bringt die Bewohner in ihren Traum und wieder zurück in die Wirklichkeit. Auch hier wird ein Stück von Aldous Huxleys Schöne neue Welt von der Utopie zur Realität.
Wie sehr liebe ich dagegen die alten Märkte wie den Zeleni Venac, direkt unter dem Luxushotel Moskva gelegen. Hier sind noch Menschen, hier wird noch geredet, diskutiert, gehandelt. Hier wird dem Käufer bei der Auswahl geholfen, hier wird probiert, gekauft, getauscht. Aber auch hier haben sich dank Internet europäische Preise eingeschlichen, vor allem bei den Antiquitätenhändlern. Bei den Vinyl gibt es keine Schnäppchen mehr, die Preise sind die gleichen wie beim Händler in Zürich oder Berlin. Auch die wissen dank der App, was eine Pink Floyd Platte kostet. Dafür sind die Bücher sehr günstig, aber leider nur auf Serbisch erhältlich. Wie schön ist ein Herbstmarkt, auf dem es nur Kohl, Rüben, Paprika und Kartoffeln zu kaufen gibt. Apfelsorten, die wir gar nicht mehr kennen, liegen neben Birnen zum Verkauf. Nüsse und Trockenfrüchte sind teuer, Gewürze duften und machen hungrig. Die nächste warme Suppe ist fällig.
Unweit des Zentrums mit seinen Restaurants und Geschäften liegt das Haus der Nationalversammlung der Republik Serbien, oft kurz Skupština genannt. Es ist der Sitz der serbischen Nationalversammlung in Belgrad und gilt als eines der monumentalsten Gebäude der Stadt. Es wurde zwischen 1907 und 1936 gegenüber dem Neuen Schloss und dem Schlossgarten, dem heutigen Pionierpark, errichtet.
Zum Schluss unseres Aufenthaltes gilt ein Besuch der Altstadt, Stari Grad. Der älteste Stadtteil Belgrads ist vor allem am Abend zu besichtigen. Über Kopfsteinpflaster bei fahlem Licht der Strassenlaternen schlendern wir durch die Gassen. Alte Fabrikgebäude und deren Kamine zeichnen sich vom dunkelblauen Himmel ab. Die zahlreichen Restaurants und Kneipen sind bereit für die Gäste. Stari Grad wird durch seine urbane Einheit geprägt, welche die Stadtentwicklung vom 15. bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhundert widerspiegeln. Der eigentliche Kern von Stari Grad bildet der Park Kalemegdan bis zur ehemaligen Stadtmauer. Die Ober- und Unterstadt entstammt in jetziger Form den späteren Ausbauten. Vor der Festung liegt der Kleine und Grosse Kalemegdan. Das Viertel auf der Donauterrasse galt als Judenviertel. Angrenzend befinden sich das Serbische Nationalmuseum, das Nationaltheater sowie die Fussgängerzone Knez Mihailova. Auch die letzte Moschee der Stadt, die Bajrakli Dzamija liegt hier. Die Gassen und Plätze laden zum träumen, die Terrassen der Kneipen zum verweilen. Ein gelungener Abschluss eines Besuches einer Stadt, welche auf den ersten Blick nicht viel zu bieten hat. Belgrad ist eine Stadt die der Besucher zu Fuss und auf eigene Faust entdecken muss. Es gilt die Strassen und Gassen runter und wieder rauf zu spazieren. Sich in Hinterhöfe und dunkle Hausdurchgänge zu wagen. Sich in einer der Kneipen trotz des Rauches zu verwöhnen und mit den öffentlichen Verkehrsmittel auch einmal in Wohnviertel zu fahren und zu erleben, wie Belgrader leben.