Bektaschi Orden

14.11.2022

Was für die Juden Jerusalem, die Christen Rom und für den Islam Mekka ist, so gibt es auf dem Balkan einen weiteren religiösen Hauptort, Tirana in Albanien. Hier, etwas ausserhalb der Stadt, liegt das Anwesen der Bektaschi.
So wie der Vatikan das Zentrum des Katholizismus ist, so ist Tirana das Zentrum einer muslimischen Religionsgemeinschaft. So treffen wir erneut auf eine jener seltsamen Begebenheiten, an denen die Geschichte Albaniens so reich ist. Ich spaziere dem betonierten Flussbett aus dem Stadtzentrum durch die Peripherie immer dem Dajti-Gebirge zu. Auf einer kleinen Anhöhe hinter dem letzten Wohnblock aus Ziegelstein versperrt eine Mauer mit einem grösseren Eingangstor den Blick. Der Durchgang ist immer geöffnet. Erst ein paar Schritte weiter versperrt eine moderne Barriere den Weg auf die Residenz des Weltoberhauptes der Bektaschi. Ein freundlicher Wächter begrüsst mit mit dem üblichen Salam Alaikum, fragt von wo ich komme und erklärt mir auf Albanisch, dass ich mich frei auf dem Gelände bewegen könne und vor mir auf rechter Hand hinter dem Verwaltungsgebäude sich die Moschee befindet, dahinter das Mausoleum. So habe ich es wenigstens verstanden, da ich kein Albanisch spreche und bin auf dem blanken, spiegelglatten Keramikboden mit Ehrfurcht, was mich hier erwartet, Richtung Moschee geschlendert.

Im 14. Jahrhundert gründet Hadschi Weli Bektasch in der kleinasiatischen Provinz von Siwas einen Derwisch Orden. Zu dieser Zeit wurde die Leibwache des Sultans hauptsächlich aus christlichen Gefangenen verschiedener Nationen gebildet, dem Janitscharenverband. Die Janitscharen, wörtlich übersetzt "Feuerstelle der neuen Truppe" waren im Osmanischen Reich die Elitetruppe. Sie erreichten höchste Positionen im osmanischen Staatswesen. Der Verband wurden 1826 aufgelöst. Mit dem osmanischen Heer kamen die Janitscharen auch nach Albanien. Die zum Islam bekehrte Garde gehörte der Gemeinschaft des Hadschi Weli Bektasch an und wandten sich aufgrund ihrer religiösen und kulturellen Vergangenheit vom ofiziellen Islam ab. Sie waren tolerant gegenüber anderen Religionen und die von den osmanischen Truppen zerstörten Kirchen wurden zu ihren heiligen Stätten. Die Bektaschi kamen in ein Land deren Bevölkerung unter Zwang zum Islam bekehrt wurde, insgeheim aber Christen oder Juden geblieben sind. Auf engstem Land lebten Katholiken, Orthodoxe, Juden und Muslime zusammen und die religiöse Toleranz der Bektaschi fand mit ihrer versöhnlichen und weitherzigen Auffassung bald zahlreiche Anhänger im besetzten Land. Die ausländischen Söldner fanden an der Adria eine zweite Heimat. Mit der Auflösung der Janitscharen im Jahre 1826 bis zum Ende des Osamischen Reiches im Balkan im Jahre 1912 wurden die Bektaschi als Islam-Ketzer verfolgt. Ihr damaliges Oberhaupt musste 1920 die Türkei verlassen und liess sich mit seinem Gefolge in Tirana nieder, wo der Orden im 1945 als selbstständige Religionsgemeinschaft offiziell anerkannt wurde.

Die Moschee mit braunen Marmorsäulen war verschlossen. Doch die riesigen Fenster rund um das Gebäude liessen freie Sicht in den Innenraum. Sonnenlicht überflutete den Saal, der mit Stühlen vollgestellt war. Nur die Richtung Mekka weisende Qiblamauer bezeugte, dass es sich hier um eine Moschee handelt. Eine Moschee, verkleidet mit grün, grau und weissem Marmor, die nicht nur für religiöse Gebete genutzt wird, sondern auch für Konferenzen und daher bei meinem Besuch gestuhlt war. Die langen, ein Meter breiten Gebetsteppiche standen aufgerollt in einer Ecke des Saales. Vor der eigentlichen Moschee erhebt sich ein Vorbau aus sieben Säulen aus grünem Marmor, dahinter Zypressen und ausserhalb der Anlage ein Kamin einer alten verlassenen Fabrik. Auf dem glatten Kachelboden schlendere ich zum Mausoleum. Die Kuppeln der Arkade ist reich verziert und in weiss, rot und hellblau gehalten. Das Gebäude aussen aus weissem Backstein. Von der Arkade komme ich in drei Räume, die mit einer zweigeteilten Kuppel überdacht sind. Auf grünem Grasteppich stehen Holzsärge. Vor jedem Sarg liegt ein Lammfell. Hinter dem Sarg auf einem Holzbrett steht unter dem Portrait der Name und religiöse Titel des Verstorbenen mit seinem Geburts- und Todestag. Auf der Spitze ruht die typische Kopfbekleidung des Verstorbenen, den er während seines Lebens getragen hat. Die weiss gehaltenen Wände tragen Ornamente, Koransprüche auf Arabisch und Weisheiten auf Albanisch. Im Hintergrund läuft die typische muslimische Singsang Musik. Neben jedem der Eingänge steht eine Eisentruhe mit Geldschlitz für die Spenden der Besucher. Auf dem Vorhof wartet der freundliche Wächter auf mich. Auf die Frage nach dem Museum zeigt er mir den Weg. Das Museum liegt zusammen mit einem Teil der Verwaltungsbüros unterhalb der Moschee und mit Zugang auf der Rückseite. Hier begrüsst mich eine junge Dame, welche auch etwas Englisch spricht. Auf meinen Hinweis, dass die Moschee geschlossen sei, führt sie mich über eine Innentreppe in den Gebetssaal. Ein junger Mann gesellt sich zu uns und zusammen versuchen sie mir auf Englisch die Religion der Bektaschi in grossen Zügen zu erklären. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich mich in ihrer Religion besser auskenne als die beiden, welche mir vor allem die Bilder der Ausstellung zur Entstehung und Einweihung der Moschee erklären. Auf meine spezifischen Fragen werden sie eher schüchtern und wissen trotz interner Beratung auf Albanisch keine Antwort zu geben. Das eigentliche Museum ist leider wegen Umbau geschlossen. Sie zeigen mir einen Konferenzraum mit Bibliothek. Die Bücher sind in Themenbereichen geordnet, die grosse Mehrzahl auf Albanisch und ausser ein paar vereinzelte Bände handelt es sich eher um neuere Ausgaben.
Jemand tritt in den Raum, ich drehe mich um. Vor mir steht ein Würdenträger der Bektaschi, gekleidet mit grünem Turban und grüner Talar über weissem Kleid. Mit seinem auf die Brust herabreichender Bart sieht er sehr würdevoll aus. Ich rede ihn mit dem üblichen islamischen Gruss an, "salam alaikum". Er lächelt mich an, gibt mir seine warme Hand. Von der jungen Dame wird er als Hajji Dede Baba vorgestellt, er ist also das Weltoberhaupt der Bektaschi! Er spricht kein Englisch, mir wird übersetzt, dass er mich herzlich begrüsst, leider wenig Zeit hat, da eine Besprechung auf ihn wartet. Er überreicht mir seine Visitenkarte, ein Buch über den Orden in englischer Sprache und eine Handvoll Süssigkeiten. Nach einer kurzen Konversation über das woher, wohin, wieso bittet er mich für eine Audienz oder auch Fragen eine E-Mail zu senden. Er würde mir dann auch gerne weitere Literatur als PDF zukommen lassen. So würdevoll wie er den Raum betreten hat, verlässt der Obergrossvater der Bektaschi ihn auch wieder.

"Willst Du wissen, wie die Grossen der Welt endeten, dann Frage die Erde, sie wird es dir Sagen!" Aussage eines der Bektaschi Weisen.