Bektaschi Orden
Was
für die Juden Jerusalem, die Christen Rom und für den Islam Mekka
ist, so gibt es auf dem Balkan einen weiteren religiösen Hauptort,
Tirana in Albanien. Hier, etwas ausserhalb der Stadt, liegt das
Anwesen der Bektaschi.
So wie der Vatikan das Zentrum des
Katholizismus ist, so ist Tirana das Zentrum einer muslimischen
Religionsgemeinschaft. So treffen wir erneut auf eine jener seltsamen
Begebenheiten, an denen die Geschichte Albaniens so reich ist. Ich
spaziere dem betonierten Flussbett aus dem Stadtzentrum durch die
Peripherie immer dem Dajti-Gebirge zu. Auf einer kleinen Anhöhe
hinter dem letzten Wohnblock aus Ziegelstein versperrt eine Mauer mit
einem grösseren Eingangstor den Blick. Der Durchgang ist immer
geöffnet. Erst ein paar Schritte weiter versperrt eine moderne
Barriere den Weg auf die Residenz des Weltoberhauptes der Bektaschi.
Ein freundlicher Wächter begrüsst mit mit dem üblichen Salam
Alaikum, fragt von wo ich komme und erklärt mir auf Albanisch, dass
ich mich frei auf dem Gelände bewegen könne und vor mir auf rechter
Hand hinter dem Verwaltungsgebäude sich die Moschee befindet,
dahinter das Mausoleum. So habe ich es wenigstens verstanden, da ich
kein Albanisch spreche und bin auf dem blanken, spiegelglatten
Keramikboden mit Ehrfurcht, was mich hier erwartet, Richtung Moschee
geschlendert.
Im 14. Jahrhundert gründet Hadschi Weli Bektasch in der kleinasiatischen Provinz von Siwas einen Derwisch Orden. Zu dieser Zeit wurde die Leibwache des Sultans hauptsächlich aus christlichen Gefangenen verschiedener Nationen gebildet, dem Janitscharenverband. Die Janitscharen, wörtlich übersetzt "Feuerstelle der neuen Truppe" waren im Osmanischen Reich die Elitetruppe. Sie erreichten höchste Positionen im osmanischen Staatswesen. Der Verband wurden 1826 aufgelöst. Mit dem osmanischen Heer kamen die Janitscharen auch nach Albanien. Die zum Islam bekehrte Garde gehörte der Gemeinschaft des Hadschi Weli Bektasch an und wandten sich aufgrund ihrer religiösen und kulturellen Vergangenheit vom ofiziellen Islam ab. Sie waren tolerant gegenüber anderen Religionen und die von den osmanischen Truppen zerstörten Kirchen wurden zu ihren heiligen Stätten. Die Bektaschi kamen in ein Land deren Bevölkerung unter Zwang zum Islam bekehrt wurde, insgeheim aber Christen oder Juden geblieben sind. Auf engstem Land lebten Katholiken, Orthodoxe, Juden und Muslime zusammen und die religiöse Toleranz der Bektaschi fand mit ihrer versöhnlichen und weitherzigen Auffassung bald zahlreiche Anhänger im besetzten Land. Die ausländischen Söldner fanden an der Adria eine zweite Heimat. Mit der Auflösung der Janitscharen im Jahre 1826 bis zum Ende des Osamischen Reiches im Balkan im Jahre 1912 wurden die Bektaschi als Islam-Ketzer verfolgt. Ihr damaliges Oberhaupt musste 1920 die Türkei verlassen und liess sich mit seinem Gefolge in Tirana nieder, wo der Orden im 1945 als selbstständige Religionsgemeinschaft offiziell anerkannt wurde.
Die
Moschee mit braunen Marmorsäulen war verschlossen. Doch die riesigen
Fenster rund um das Gebäude liessen freie Sicht in den Innenraum.
Sonnenlicht überflutete den Saal, der mit Stühlen vollgestellt war.
Nur die Richtung Mekka weisende Qiblamauer bezeugte, dass es sich
hier um eine Moschee handelt. Eine Moschee, verkleidet mit grün,
grau und weissem Marmor, die nicht nur für religiöse Gebete genutzt
wird, sondern auch für Konferenzen und daher bei meinem Besuch
gestuhlt war. Die langen, ein Meter breiten Gebetsteppiche standen
aufgerollt in einer Ecke des Saales. Vor der eigentlichen Moschee
erhebt sich ein Vorbau aus sieben Säulen aus grünem Marmor,
dahinter Zypressen und ausserhalb der Anlage ein Kamin einer alten
verlassenen Fabrik. Auf dem glatten Kachelboden schlendere ich zum
Mausoleum. Die Kuppeln der Arkade ist reich verziert und in weiss,
rot und hellblau gehalten. Das Gebäude aussen aus weissem Backstein.
Von der Arkade komme ich in drei Räume, die mit einer zweigeteilten
Kuppel überdacht sind. Auf grünem Grasteppich stehen Holzsärge.
Vor jedem Sarg liegt ein Lammfell. Hinter dem Sarg auf einem
Holzbrett steht unter dem Portrait der Name und religiöse Titel des
Verstorbenen mit seinem Geburts- und Todestag. Auf der Spitze ruht
die typische Kopfbekleidung des Verstorbenen, den er während seines
Lebens getragen hat. Die weiss gehaltenen Wände tragen Ornamente,
Koransprüche auf Arabisch und Weisheiten auf Albanisch. Im
Hintergrund läuft die typische muslimische Singsang Musik. Neben
jedem der Eingänge steht eine Eisentruhe mit Geldschlitz für die
Spenden der Besucher. Auf dem Vorhof wartet der freundliche Wächter
auf mich. Auf die Frage nach dem Museum zeigt er mir den Weg. Das
Museum liegt zusammen mit einem Teil der Verwaltungsbüros unterhalb
der Moschee und mit Zugang auf der Rückseite. Hier begrüsst mich
eine junge Dame, welche auch etwas Englisch spricht. Auf meinen
Hinweis, dass die Moschee geschlossen sei, führt sie mich über eine
Innentreppe in den Gebetssaal. Ein junger Mann gesellt sich zu uns
und zusammen versuchen sie mir auf Englisch die Religion der
Bektaschi in grossen Zügen zu erklären. Irgendwie habe ich das
Gefühl, dass ich mich in ihrer Religion besser auskenne als die
beiden, welche mir vor allem die Bilder der Ausstellung zur
Entstehung und Einweihung der Moschee erklären. Auf meine
spezifischen Fragen werden sie eher schüchtern und wissen trotz
interner Beratung auf Albanisch keine Antwort zu geben. Das
eigentliche Museum ist leider wegen Umbau geschlossen. Sie zeigen mir
einen Konferenzraum mit Bibliothek. Die Bücher sind in
Themenbereichen geordnet, die grosse Mehrzahl auf Albanisch und
ausser ein paar vereinzelte Bände handelt es sich eher um neuere
Ausgaben.
Jemand tritt in den Raum, ich drehe mich um. Vor mir
steht ein Würdenträger der Bektaschi, gekleidet mit grünem Turban
und grüner Talar über weissem Kleid. Mit seinem auf die Brust
herabreichender Bart sieht er sehr würdevoll aus. Ich rede ihn mit
dem üblichen islamischen Gruss an, "salam alaikum". Er lächelt
mich an, gibt mir seine warme Hand. Von der jungen Dame wird er als
Hajji Dede Baba vorgestellt, er ist also das Weltoberhaupt der
Bektaschi! Er spricht kein Englisch, mir wird übersetzt, dass er
mich herzlich begrüsst, leider wenig Zeit hat, da eine Besprechung
auf ihn wartet. Er überreicht mir seine Visitenkarte, ein Buch über
den Orden in englischer Sprache und eine Handvoll Süssigkeiten. Nach
einer kurzen Konversation über das woher, wohin, wieso bittet er
mich für eine Audienz oder auch Fragen eine E-Mail zu senden. Er
würde mir dann auch gerne weitere Literatur als PDF zukommen lassen.
So würdevoll wie er den Raum betreten hat, verlässt der
Obergrossvater der Bektaschi ihn auch wieder.
"Willst Du wissen, wie die Grossen der Welt endeten, dann Frage die Erde, sie wird es dir Sagen!" Aussage eines der Bektaschi Weisen.