Algerien - römische Kornkammer

30.10.2022

Algerien Kornkammer des römischen Reiches
Als Maghreb Liebhaber muss man sich erst einmal von den Erinnerungen, Vorstellungen und Klischees der Nachbarländer befreien. Man muss sich die Geschichte etwas in Erinnerung rufen, welche in vielen Aspekten von den Nachbarn abweicht. Die geschützte Lage, unter anderem von Oran und Algier machten beide Hafenstädte nicht sicher vor Piraten, Spanier, Portugiesen und weiteren Seefahrer, welche durch das Mittelmeer kreuzten. So lag Algerien lange Zeit im Osmanischen Grenzgebiet zu den Sultanaten Fes und Marrakech. Algerien war dann auch eines der ersten Länder, welche von den Franzosen eingenommen wurde. Man blieb in diesem Land viel länger, als man dies zum Beispiel in Marokko tat. Bereits 1830 wurden weite Teile des Landes unter französischen Schutz gestellt und als Marokko 1956 vom Protektorat erlöst wurde, erlebte Algerien seinen ersten Bürgerkrieg der Neuzeit. Erst 1962, also als eines der letzten Länder Afrikas, kam Algerien in die Unabhängigkeit. Nach 30 Jahren verletzte ein neuer Bürgerkrieg das noch junge Land. Bis heute spürt man die Unruhe, welche aber vom Willen der Regierung und der Einwohner überragt wird, etwas aus diesem einzigartigen Land zu machen. Der Tourismus soll neben den Erdöl- und Erdgaseinkommen ein weiterer wichtiger Devisenbringer werden. Algerien verfügt mit 35 Millionen Einwohnern auf einer riesigen Fläche von 2,4 Millionen km2 über vielfältige touristische Attraktionen, wie die 1200 Kilometer Mittelmeerküste, fast unbebaut, mit herrlichen kleinen Sand-buchten, ist sie ein riesiges Kapital für eine gesunde touristische Zukunft. Immense Wüstengebiete im Süden und historische Schätze aus dem Altertum. Der Norden ist überstreut mit Resten aus der Römerzeit. Nach Italien findet man hier die am meisten vorkommenden Zeugen aus einer Zeit, als man das heutige Nordalgerien die Kornkammer des Römischen Reiches nannte. Orte wie Cherchell und Tipaza in der Nähe der Haupt-stadt; Annaba, Guelma, Tiddis, Djemila, Batna und Timgad im Nordosten des Landes überraschen nicht nur Kenner längst vergangener Zeiten, sondern faszinieren auch uns Laien, mit einzigartigen Monumenten. In den Berggebieten der Berber findet man dazu eine malerische Kultur mit einer sehr freundlichen und aufgeschlossenen Bevölkerung.

Für den heutigen Reisenden fehlt in den meisten Gegenden noch eine geeignete Infrastruktur an Hotels und Restaurants im internationalen Standard. Viele der Sehenswürdigkeiten sind vernachlässigt. Sie sind dem Publikum verschlossen. Keine Wegweiser führen zu ihnen, kein Informationsmaterial steht dem Interessierten zur Verfügung, keine Kontaktperson vor Ort, der Auskunft geben könnte. Die Liebenswürdigkeit der zuständigen Stellen lässt aber so vieles vergessen. Algerien ist somit mit all seinen Vorzügen noch ein Geheimtipp am Mittelmeer.

Cherchell und Tipasa am Mittelmeer
Etwas über 40 km ist Cherchell von der algerischen Hauptstadt entfernt. Caesarea erlebte seine Blütezeit unter den mauretanischen Dynastien der Bocchus und Juba. Aus einem ehemaligen phönizischen Handels-Zentrum formte der romanisierte und hellenisierte Berber, Juba II., seine Residenz-Stadt der Kultur und der Kunst, welche mit seiner zweiten Hauptstadt Volubilis wetteiferte. Nachdem im Jahre 40 Kaligula Ptolemäus den Sohn Jubas ermorden liess, wurde die Stadt offiziell zur Hauptstadt des cäsarianischen Mauretanien, die dem Westen und der Mitte des heutigen Algerien entspricht. Nach einer drei Jahrhunderte dauernden Blütezeit wurde die Stadt von Vandalen verheert und durch ein Erdbeben im 10. Jahrhundert zerstört. Erst im 13. Jahrhundert und unter den Königen von Tlemcen gewann der Hafen eine gewisse Aktivität zurück. Heute bietet Cherchell einen friedlichen, farbenfrohen Mittelmeerhafen, der noch der Fischerei dient. Auf dem Dorfplatz setzen sich die Einwohner ohne sich gross zu fragen auf Kapitelle und Gesimse aus behauenem Marmor, die als öffentliche Bänke dienen. In der Mitte des mit Bäumen bepflanzten Platzes steht ein mit antiken Masken geschmückter Brunnen. An der einen Seite des Platzes befindet sich das Museum, bestehend aus einer Galerie, um einen viereckigen Hof gelegen. An den Mauern hängen Fragmente von Mosaiken. Zahlreiche, leider vielmals verstümmelte Statuen lenken die Aufmerk-samkeit auf die Besucher.

Entlang der Küstenstrasse fahren wir weiter nach Tipasa, besichtigen aber zuvor das Grabmal der Christin, das als eines der seltsamsten Monumente Algeriens gilt. Der Scharfsinn der Archäologen wurde viele Jahre auf eine harte Probe gestellt. Heute weiss man aber, dass es sich um ein königliches mauretanisches Mausoleum handelt, wenn auch noch nicht alle Fragen gelöst sind. Vor uns erhebt sich ein riesiges 33 Meter hohes, rundes, von einem Kegel aus grossen Steinblöcken überragtes Gebäude. Der Zylinder hat einen Umfang von 185 m, 61 m Durchmesser und ist mit 60 Säulen mit ionisischen Kapitellen geschmückt. Es gibt kein Fenster, keine Öffnung. Vier monumentale Steintore mit dekorativen Motiven in Form eines Kreuzes geschmückt, zeigen in die verschiedenen Himmelsrichtungen. Alle Völker, darunter auch Abenteurer und Schatzsucher hofften sich Reichtum. Die Türken haben sogar die Kuppel bombardiert. Aber erst im Jahre 1865 wurde bei Grabungen der Eingang unter dem Ost-Tor gefunden. Ein gewölbter Gang dringt spiralförmig ins Innere des Monumentes vor, durchquert zwei durch Steinplatten geschlos-sene Türen. Erst danach gelingt man in die Grabkammer. Als die Wissenschaftler damals eindrangen war die Grabstätte leer. Vielleicht ist sie es immer gewesen. Man nimmt an, dass das Mausoleum für einen der mauretanischen oder numidischen Könige bestimmt war, schlussendlich aber nie benutzt wurde, da diese weit weg von der für sie gedachten Grabstätte gestorben sind.

Tipasa ist nicht eine weitere pedantische römische Stadt, welche die Phantasie nicht weiter anstrengt. Durch seine Lage um ein zerklüftetes Gebirge, zu Füssen des Berges Chenoua mit seinem reinen Profil und seinen wechselnden Farben und hoch über dem Wasser, schufen die Kaufleute und Siedler hier eine Perle am Mittelmeer. Die Natur, reich an Farben, mit mediterranen Düften umgibt die einst stolze Stadt. Alles ist an seinem ursprünglichen Platz und doch existiert nichts mehr. Gradlinige Strassen waren einst von Geschäften und Villen gesäumt. Heute schlängelt man sich auf Pfaden, um von einem Stadtteil ins andere zu gelangen. Wenige der Säulen stehen noch. Schafe grasen in der Tiefe des Amphitheaters. Stufen, welche damals zu den Tempeln führten, verlieren sich in den Mimosen. Das kleine Theater verliert sich unter dem Grün der Kiefern. Wo einst die Nekropolis, bedecken wilde Blumen den Boden der Sarkophage. Es entstand ein Friedhofgarten am Meer. Die glorreiche Zeit entspricht der Regierung des Königs Juba II., des Mauretaniers, der hier eine Verlängerung seiner nahen Hauptstadt errichtete. Das sehr fruchtbare Hinterland und die einmalige Lage an der Küste machte diese Stadt zu einem natürlichen Mittelpunkt des römischen Reiches. Die Tempel weichen aber nach und nach christlichen Darstellungen. Bald entsteht eine Basilika. Eine Sage erzählt, dass ein junges Mädchen mit Namen Salsa gesteinigt und ins Meer geworfen wurde, da sie Idole zertrümmert habe. Als das Meer den Leichnam aufnahm, fing die See zu toben an. Die Wellen glätteten sich erst, als man die Leiche wieder herausfischte und ihr eine würdige Grabstätte errichtete. Tausende von Christen wollten danach auf diesem Hügel östlich der Stadt zur letzten Ruhe gelegt werden.

Vielleicht ist dies einer der Gründe, dass man in Algerien zwar sehr viele römische Städte findet, aber die vielgelobten Statuen stark beschädigt sind, oder sogar ganz fehlen. Die Geschichte will wissen, dass beim Einfall der islamischen Araber im 7. Jahrhundert, diese wegen dem Verbot Menschen abzubilden, natürlich nicht besonders begeistert von den übermenschlichen Statuen gewesen seien. Unter ihnen hätte es aber gebildete Heerführer gegeben, welche die Kunst in diesen Werken verstanden hätten. Um diese Figuren für sich und die Nachwelt zu erhalten, hätte man Zehen, Hände, Nasen der Statuen abgeschlagen, denn ein so unvollkommenes Geschöpf kann ja kein Abbild von Allahs Schaffen sein. Die bis ins 19. Jahrhundert erhalten gebliebenen Statuen wurden dann sicher von den Franzosen in Sicherheit gebracht, bevor sie vollständig verloren gingen...

Was bietet aber nun Algerien einem Reisenden unserer Zeit? Findet der Tourist Ferienanlagen wie in Tunesien? Lebt auch hier noch ein verlorener Geist aus der ruhmreichen Zeit von Al-Andalus wie in Marokko? Algerien :: go2afrika.reisen